Der verflossene Bursche.

Humoreske von Teo v. Torn.
in: „Rostocker Zeitung” vom 09.10.1904,
in: „Trierische Landeszeitung - Familienfreund” vom 10.10.1904 und
in: „Teplitz-Schönauer Anzeiger” vom 29.03.1905


Er war schon immer etwas apart gewesen.

Nach seinem Taufschein und den anderen Dokumenten, welcher er als Soldat beizubringen gehabt, hieß er Albert Tietze. Das hatte er aber von vornherein bestritten — wenn auch nicht mit Erfolg, so doch mit großer Entschiedenheit. Er heiße nicht Tietze mit 'nem langen i, sondern Ti—ëtze. Er beanspruchte das Trema für sich, die puncta diaereseos, welche bekanntlich verwendet werden, wenn zwei nebeneinanderstehende Vokale nicht als Diphthong gelesen werden sollen. Weshalb er diesen Anspruch erhoben, ist nie recht festgestellt worden. Auf bezügliche Anfragen hatte er immer nur behauptet, daß das Geschlechte der Tietze aus dem Wendischen stamme, früher adelig gewesen sei und sich seit Urväterzeit Tiëtze genannt habe.

Wie schon gesagt, hatte er als Soldat wenig Glück gehabt mit dieser Eigentümlichkeit seines Geschlechtes. Man ist beim Militär viel eher geneigt, schwierige Namen zu vereinfachen, als einfache zu komplizieren. Deshalb war er immer Tietze genannt worden — mit einem langen i. Für gewöhnlich wenigstens. Nur wenn er sich gar zu blöde anstellte, dann hatte der Sergeant wohl einmal etwas spitzig geäußert: „Der da — der wendische Edelmann stellt sich wieder an wie ein zu früh entwöhntes Milchkalb! Und den hochwohlgeborenen Lötkolben hat er auch wieder nicht in Richtung der Knopfreihe! Soll ich Ihnen mal die Gurke zurechtdrehen, Herr von Ti—ëtze!?”

Albert Tietze war wirklich kein guter Soldat gewesen. Etwas Weltfremdes, Verträumtes, machte ihn ebenso ungeeignet für den Frontdienst wie für die anderen Fertigkeiten, welche heute von einem preußischen Füsilier verlangt werden. Am Reck zappelte er wie ein zu künstlichen Lebensbewegungen elektrisierter Frosch und beim Schießen pflegte er die Scheibe immer nur in ihrer weiteren Umgebung zu treffen.

Die Folge war, daß der Kompagniechef ihn alsbald abgeschoben und für den Burschendienst bestimmt hatte. Leutnant v. Fehlhauer, den der Hauptmann nie sonderlich protegierte, war mit Albert Tietze beglückt worden und — hatte ihn behalten bis zu der Stunde, da der Bursche mit aufgerollten Achselklappen und der Kompagnietroddel am Spazierstock sich von seinem Leutnant verabschiedete.

Das war heute gewesen.

Leutnant von Fehlhauer sah ihm aus dem Fenster nach und kam zu dem Schlusse, daß Albert Tietze der schlechteste nicht gewesen war. Ein treuer, anhänglicher Mensch — und sogar anstellig, wenn er sich nicht gerade in einem seiner Traumzustände befand. In diesen hatte er es allerdings fertig gebracht, ein Stadttelegramm, welches er zur Post hatte bringen sollen, bei dem Adressaten persönlich abzugeben, und zwar inklusive der dreißig Pfennige Telegrammgebühren. Sonst hatte Albert Tietze nur zwei Fehler gehabt: ein umfassendes Liebesbedürfnis und eine Eitelkeit, die ans Pathologische grenzte. Eine seiner höchsten Wonnen war es gewesen, einen alten Waffenrock seines Leutnants anzuziehen und damit unten bei Forstrats Minna in der Küche Visite zu machen. Die Dreistigkeit war umso größer, als der Leutnant bei Forstrats verkehrte. Dagegen hatten die Beziehungen Tietzes zu Minna auch ihr Gutes gehabt. Wenn Leutnant von Fehlhauer bei Forstrats zu Tisch geladen war, pflegte der Bursche am Abend vorher mit geheimnisvollem Schmunzeln zu fragen: „Was wollen der Herr Leutnant morgen essen?”

Das war nun vorbei. Albert Tietze zog heim zu den anderen seines Geschlechtes, das aus dem Wendischen stammte und früher adelig gewesen war.

Man gewöhnt sich an alles — sogar an solch einen verschrobenen Kerl. Leutnant von Fehlhauer fühlte beinahe etwas wie Wehmut, als er den Menschen aus dem Auge verlor und dann die Treppe zum Boden hinaufstieg, um die Kammer für den Nachfolger zu revidieren.

Sauber war er gewesen; das mußte man ihm lassen, und ordentlich! Die Kammer sah freundlich und aufgeräumt aus wie ein Jungfrauenstübchen. Auch einen gewissen dekorativen Sinn hatte Albert Tietze gehabt. Die Wände waren mit Bildern ausgeschmückt, die er aus Journalen und Zeitungsbeilagen ausgeschnitten: Cleo de Merode, das Kaiserin-Elisabeth-Denkmal, die Kochschule des Lette-Vereins, Samuel Maherero, Liebeswerben, der Zar segnet seine Truppen, Stammbaum des Grafregenten zu Lippe, der kluge Hans, Schlachthaus in Chicago — und dergleichen unterschiedliche Motive.

Die meisten Bilder hatte der Bursche noch mit besonderen Unterschriften oder Kommentaren versehen. Bei der schönen Cleo war vermerkt: „Das wär' noch so was!” Unter dem Kochschulbilde: „Hier sollte die Franziska man auf ein paar Wochen in die Lehr' gehen, denn würd' sie die Kochwurst nicht mit Specksauce, sondern in Bier machen.” Das Bild des Herero-Häuptlings trug die lakonische, aber vielsagende Bemerkung: „Schweinehund”. „Liebeswerben” zeigte ein inniges Paar in der Tracht des dreißigjährigen Krieges. Wahrscheinlich mit Bezug auf die Dame war bemerkt: „Aehnlt ein bißchen der Luise, bloß daß diese aus dem Munde riecht.” Ferner am Rande desselben Bildes: „Marie Ferkner, Sebaldstraße 18. Von neun ab frei, aber man darf nicht in die Küche. — Josefa Kleinholz, feines Mädel, poussiert aber leider auch mit dem Unteroffizier Schmidt II. — Anna Bündler, falschen Zopp, aber gutes Essen. Dienstag und Donnerstag. — Veronika Bidogatzka oder so ähnlich, ist zu Hause mit einem verlobt, quatscht immer von. Essen sehr gut.” Die von dem Zaren vollzogene fromme Handlung war mit der Notiz versehen: „Kriegen doch Wichse.”

Einen besonders tiefen Einblick in das Gemüt des verflossenen Burschen gewährte dem Offizier folgende, neben dem gräflich Lippeschen Stammbaum befindliche Aufzeichnung: „Leutnant von Tiëtze. — Hauptmann von Tiëtze auf und zu Tiëtzenberg. — Major Freiherr von Tiëtze. — Oberst Baron und edler Herr von Tiëtze-Tiëtzenberg. — General Albert Graf Tiëtze. — Seine Exzellenz Generalleutnant Graf Albert Roderich Herwarth Tiëtze, genannt Scharffenstein. — Seine Durchlaucht Generalfeldmarschall Fürst zu Tiëtzenberg und Scharffenstein, Oberstkommandierender in den Marken, Generaladjutant Seiner Majestät des Kaisers und Königs.”

Weiter hatte das verrückte Huhn seine Entwicklung nicht getrieben. Als Leutnant von Fehlauer sich kopfschüttelnd abwandte, bemerkte er auf der Innenseite der Tür noch einen beschriebenen Bogen:

„An den neuen Burschen!

Wenn er morgens Dienst hat, dann steht er auf. Wenn er aber keinen Dienst hat und er hat gesagt, er steht auf, dann steht er nicht auf. Laß ihn man auch liegen, sonst schmeißt er mit'n Stiebel.

Die Weckeruhr geht alle Tage zehn Minuten nach. Da mußt Du verflucht aufpassen.

Kaffee wird immer zu einsvierzig das Pfund genommen. Bei Bladen an der Ecke. Gemahlen. Zusatz steht in der Blechbüchse neben der Maschine. Nicht zu viel, denn wenn er's merkt, schimpft er.

Halt' seine Sachen propper, sonst geht's Dir schlecht. Knöppe, Säbel, Helm, alles was blank ist, muß blank sein. Die Garnituren im Korridorschrank sind nur für Ronde und so was. Weiße Glaßehs werden mit Benzin gewaschen, aber zieh' sie nicht an dabei, weil sie sonst aus der Fassong kommen. Der zweite Überrock muß zum Schneider. Aber frag' man erst.

Er sagt alles immer nur einmal.

„Taps” ist sein Lieblingswort, und da brauchst Du Dir nichts draus zu machen. Bei „Troddel” hingegen ist er sehr böse, und da kannst Du Dir gratulieren.

Geh' ihm nicht an den Konjak und an die Zigarren. Diese sind auch nicht gut, weil er sie nur zum Spendieren hat. Er raucht Zigaretten. Zu drei Pfennig von Hilmers. Brauchst bloß zu sagen: für den Herrn Leutnant. Es wird angeschrieben.

Er trinkt nicht. Wenn er aber vom Liebesmahl kommt, dann ist er manchmal ganz anständig angeschikkert. Zieh' ihm die Stiebel aus und halt's Maul. Das ist die Hauptsache.

Wenn Du Urlaub haben willst oder sonstwas, dann frag' ihn gleich morgens. Wenn er mittags vom Dienst kommt, hat er vielleicht 'was reingewürgt gekriegt und da ist schlecht mit ihm zu reden.

Seine Briefe leg' ihm immer auf den Tisch am Fenster. Die, welche gut riechen, immer zu oberst. Aber laß Dir nichts merken.

Er ist sonst ein sehr guter Mensch, wenn man ein bißchen aufpaßt, und hat er mir sogar zweimal die Hand gegeben. Einmal wie mein Vater Johannes Tiëtze gestorben war und dann wie ich ihm zum Oberleutnant gratuliert habe. Vielleicht wird er mir auch die Hand geben, wenn ich ihm adiö sag' — — —”

Leutnat von Fehlhauer ließ das Blatt ruhig hängen. So drollig ihn die Geschichte anmutete — es war ihm doch lieb, daß er dem verdrehten Kerl auch zum Abschied die Hand gereicht hatte.

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(Die unterstrichenen Textteile finden sich nur in der Fassung der Rostocker Zeitung. D.Hrsgb.)